Heike Krohn machte ihr Abitur an der Goetheschule Wetzlar im Jahr 1980 und stand bei der ersten Produktion »Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat« als Gad auf der Bühne. Ihr Bericht erschien zuerst in LoGo, dem Magazin der ehemaligen Goethe- und Lotteschüler (Ausgabe 02/18).
Es war einmal … ein Tag kurz vor den Sommerferien im Juni 1979. Es geschah in der ersten großen Pause, als ich nichts ahnend die Pausenhalle durchquerte. In diesem Moment erfolgte eine Durchsage, die mich aufhorchen ließ und die wegweisend für die künftige Musicalgruppe der Goetheschule Wetzlar über Jahrzehnte hinweg werden sollte. Eine Theater-AG sollte gegründet werden, die ein englischsprachiges Musical mit einem ellenlangen Titel erstaufführen würde:
»Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat«.
Gesucht wurden Interessierte, die das Abenteuer einer völlig neuen Darstellungsform auf sich nehmen wollten.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies jemanden interessiert“, sagte meine Begleitung. „Nach den Ferien sind wir in der 13 und müssen uns auf das Abi konzentrieren“, gab sie außerdem zu bedenken.
Sie konnte sich anscheinend Vieles nicht vorstellen, ich schon, denn in meiner Vorstellung sah ich mich schon singend auf der Bühne. Daher fand ich mich wenige Tage später im Musiksaal wieder, und zwar mit einer unglaublich großen Anzahl von Neugierigen. Allerdings leerte sich der Saal zusehends, als der Initiator Peter Merck erklärte, dass ein Vorsingen über die Verteilung der Rollen entscheiden würde. Zur Klavierbegleitung von Musiklehrer Peter Marschall, musste das Lied „My Bonnie is over the Ocean“, vorgetragen werden.
Aufgenommen wurde der Gesang mit einem Kassettenrecorder! Jetzt kam mir meine Chorerfahrung zugute, da wir dort stets zur Klavierbegleitung sangen, aber ob es für eine Rolle reichen würde?
Es reichte! Als die Sommerferien anbrachen, waren die Rollen verteilt. Ich hatte die Rolle des Gad, Josephs Bruder, in der Tasche und konnte den Probenbeginn kaum erwarten.
Dieser erfolgte kurz nach Beginn des neuen Schuljahres 1979/80 und zwar in Form von Chorproben, geleitet von unserem Musiklehrer Peter Marschall. Das Forum wurde zur wöchentlichen Probebühne, da dort die Erstaufführung stattfinden sollte.
Die Putzfrauen konnten nach wenigen Wochen die eingängigen Melodien des Musicals mitsingen. Außer dem Klavier kamen Schlagzeug, Gitarre und Akkordeon zum Einsatz, und wir Sänger waren begeistert über die kleine Musikcombo, wie der musikalische Leiter, Herr Marschall, seine Musiktruppe nannte.
Die Reihen der Interessierten lichteten sich allerdings schon nach kurzer Zeit, aber die verbliebenen Schülerinnen und Schüler, es waren etwas mehr als 20, bildeten bald ein stabiles Team. Wir trotzten allen Unkenrufen hinsichtlich eines möglichen Scheiterns und einer Überforderung angesichts der vielen Proben inmitten der Abiturvorbereitungen, die seitens der Lehrer, Mitschüler und Eltern vorgebracht wurden. Der Spaß an dem neuen Projekt und die gemeinsame Spielfreude wischten unsererseits alle Bedenken hinweg.
Bald folgten erste Stellproben und allmählich entstand aus Gesang und Darstellung das, was dann bis zum Januar 1980 ein Musical werden sollte. Nicht immer waren sich Regisseur, musikalischer Leiter und Darstellende einig über Schauspiel und Gesang. Es wurde diskutiert und lamentiert, aber am Ende Vieles gemeinsam entschieden.
Dann war es plötzlich Januar 1980, die Premiere rückte näher und die Anspannung stieg täglich.
Erste Schmink- und Kostümproben endeten im Chaos. Peter Merck raufte sich die verbliebenen Haare. Peter Marschall verzweifelte an der vermeintlichen Disziplin- und Talentlosigkeit der Sänger. Zur Generalprobe kam fast das gesamte Lehrerkollegium. Zweifel überfiel alle Beteiligten, ob man sich nicht übernommen hatte und sich eventuell dem Spott der eigenen Lehrer aussetzte. Das Intro erklang und alle Zweifel schwanden. Wir spielten und sangen, als ob unser Leben davon abhinge. Trotz kleinerer Pannen verlief die Generalprobe in unseren Augen grandios.
Am Donnerstag, dem 31.Januar 1980, folgte die Premiere. Die deutschlandweit erste Aufführung des Musicals »Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat« übertraf alle Erwartungen.
Angespornt durch die persönlichen Grüße des Komponisten Andrew Lloyd Webber verwandelten wir das ausverkaufte Forum der Goetheschule in eine Musicalbühne, in der die Zuschauer Teil der Darbietung wurden. Eine zusätzliche Aufführung wurde angekündigt, da sehr viele Interessierte an der Tür abgewiesen werden mussten, weil das Forum völlig überfüllt war.
Danach spielten wir Joseph noch etliche Male, nicht nur in der Schule, sondern auch in verschiedenen Orten in Hessen. Außerdem traten wir im Vorprogramm der Wetzlarer Festspiele im Rosengärtchen auf (ebenfalls ein Novum). Die Begeisterung während und nach dieser allerersten Aufführung und das überwältigende Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, die etwas ganz Neues und Phantastisches auf die Beine gestellt hatte, konnte nicht mehr getoppt werden. Die skeptischen Blicke der Zuschauer, die sich im Laufe der Aufführung in Begeisterung verwandelten, habe ich auch nach 38 Jahren nicht vergessen.
„Go,go,go, Joseph“, ich würde dich, unseren Vater Jacob, meine Brüder und das restliche Ensemble gerne einmal wiedersehen, inspiriert von der Aussage des Pharaos: „Joseph – we are a perfect team“, die dann leicht modifiziert lauten müsste: „Joseph – we were a perfect team“.
Epilog
Seit unserer ersten Aufführung hat sich Vieles verändert. Die Aufführungstermine werden so festgelegt, dass die Mitwirkenden nicht mehr so stark bei ihren Abiturvorbereitungen belastet werden.
Unsere Aufführungen waren meilenweit von dem entfernt, was die heutige Musicalgruppe auf die Beine stellt. Aber der unbedarfte Spaß der Vorbereitung auf ein Novum, die Ungewissheit, ob ein von Schülerinnen und Schülern aufgeführtes Musical überhaupt von den Zuschauern angenommen werden würde, konnten nur wir als Gründungsmitglieder in dieser Form erleben. Niemand konnte sich 1980 vorstellen, dass die Musicalgruppe jedes Jahr, bis heute, eine neue Aufführung zum Besten geben würde. Die Ansprüche sind gestiegen. Die Disziplin, die von den Mitwirkenden verlangt wird, ist nicht zu vergleichen mit der von damals. Jedes Jahr stellt sich die Musicalgruppe in einer neuen Besetzung der Aufgabe, das Publikum mit einer neuen Produktion zu verzaubern. Besonders aufgeregt war ich jedes Mal, wenn eines meiner Kinder in Aufführungen mitwirkte. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Musicalgruppe wird im Jahr 2019 erneut „Joseph“ aufgeführt. Ich begehe das Jubiläum, indem ich mich darauf freue, meine Tochter in dieser Aufführung zu sehen.