1991 Happy End

Eine verkommene Kneipe, „Bill’s Beer Hall“, dient den Gangstern von Chicago als Hauptquartier. Angeführt wird die Bande von der geheimnisvollen Dame in Grau. Wenn sie einen um Feuer bittet, ist dies ein Zeichen für unmittelbare Liquidierung. Diesen Schauplatz betreten nun die Mitglieder der Heilsarmee, deren Bemühungen so lange vergeblich sind, bis Leutnant Lillian Holiday dem Gangsterboss Bill unter Einfluß von dessen Whiskey den anrüchigen Matrosensong vorsingt. Dadurch fällt sie in der Heilsarme in Ungnade und wird verstoßen…
Weill und Brecht hofften 1929, mit „Happy End“ an den großen Erfolg der „Dreigroschenoper“ anschließen zu können, doch die Premiere in Berlin geriet zum Skandal und das Stück wurde in der Presse zerrissen. Nach nur ein paar Aufführungen wurde es wieder abgesetzt und zu Lebzeiten von Weill und Brecht nicht mehr gespielt.

Fotos

Presse

Abgesehen vielleicht davon, daß die Gangster ausgerechnet aus einem Exemplar dieser Tageszeitung handlungsrelevante Neuigkeiten entnahmen, konnte an der Ausstattung und Realisierung des Brecht/Weill'schen "Happy End" durch die Musicalgruppe der Wetzlarer goetheschule nichts gemälkelt werden. [...] Beachtlich war die disziplinierte Tanzleistung des Ensembles, das mit professionellem Engagement und Stil besonders in seiner ersten Reihe für sich einnahm: Hingebungsvoller schaffen sich auch Profis nicht. Eine herausragende Gesangsleistung unter anderen lieferte Anne-Marie Vlachou als Lillian Holliday, die durch auch ohne Mikrofon tragfähige Stimme, ausgewogene Intonation und vor allem durch ihre sichere Auffassung der Role das Publikum für sich gewann und mit ihrem »Surabaya Johnny« schließlich verzauberte: Das hatte man nicht erwartet. [...] Die stehenden Ovationen des Hauses brachten das ensemble denn auch noch einmal zu einer Zugabe auf die Bühne.

Gießener Allgemeine (28.05.1991)

Cast & Crew

Besetzung

Bill Cracker: Andreas Schmidt
Sam Wurlitzer (Mammy): Martin Koob
Dr. Nakamura (Govenor): Till Fischer
Jimmy Dexter (Reverend): Petra Hendrich
Bob Marker (Professor): Jutta Trommershäuser
Johnny Flint (Baby Face): Sven Herchenhein
Lady in Grey (Fly): Anja Herbold
Miriam, Barmaid: Koko Korth
Major Stone: Tanja Menzel
Captain Hannibal Jackson: Peter Merck
Lillian Holiday: Kirsten Hübner, Anna-Maria Vlachou
Sister Mary: Nicole De Bona
Sister Jane: Tanja Napiontek
Brother Ben Owens: Mario Ellensohn
A Cop: Daniela Dobiasch
Ensemble: Tanja Bangel, Andrea Derra, Imke Friedrich, Eva Fricke, Mira Keil, Tanja Knipppel, Mario Künzl, Anke Mandler, Tanja Napiontek, Larissa Schaefer, Silke Wunderlich

Band

Piano: Peter Marschall
Flöte: Naja Sellmann
Gitarre: Hendrik Meyer-Lückel
Schlagzeug: Bodo Neumann
Akkordeon: Sabine Pohl
Keyboard: Oliver Pfaff
Saxophon: Michael Peter
Chor: Daniel Engelmann, Katja Keiner

Kreatives Team

Musikalische Leitung: Peter Marschall
Inszenierung: Peter Merck
Regieassistenz: Anja Herbold, Martin Kobb
Choreographie: Oliver Mühig
Bühnenbild: Gaby Czybik, Martin Koob
Chorleitung: Uta Hinz
Kostüme: Anja Herbold

Handlung

Kleine und Große der Unterwelt von Chicago wärmen sich in den Tagen vor Weihnachten 1915 in Bills Ballhaus auf und vertreiben sich die Zeit mit Betrügereien, auf die die Fremden unter den Gästen prompt hereinfallen. Richtig ernst wird es allerdings erst dann, wenn „Fliege“ auftaucht, eine Dame in Grau, die Königin aller Verbrecher: Bittet sie jemanden um Feuer, bedeutet es für jenen das Todesurteil.

Am Weihnachtsabend ist das Räumen der Lager der Lloyd Chicago Deposit angesagt; „Fliege“ gibt Bill und den anderen genaue Instruktionen. Ihren heutigen Besuch in Bills Kneipe beendet sie, indem sie den Taschendieb Governor um ein Streichholz bittet: er hatte versucht, bei Autoschiebereien mehr für sich herauszuschlagen als ihm zustand.

Lilian, Leutnant der Heilsarmee, dringt mit ihren Kameraden bis ins Ballhaus vor. Ihre frommen Appelle werden von den Versammelten verhöhnt, aber sie lässt nicht locker und nimmt Bills Einladung auf einen Whisky trotz eindringlicher Warnungen ihrer Freunde an. Alleine mit Bill, wird sie nicht etwa durch ihn, sondern durch einen Schuss in der Küche erschreckt. Als die Gangster mit dem blutenden Governor kommen, kann sie mit dem Whisky gar nicht mehr aufhören und liefert schließlich vor versammelter Mannschaft einen Matrosensong ab. Die mit der Polizei zurückkommenden Streiter Gottes ereifern sich über Lilians lose Moral und Bill polemisiert gegen diesen Schmachtfetzen, wie er ihr Lied nennt und wirft sie aus dem Lokal.

Wegen ihres Fehltritts soll Lilian aus der Heilsarmee ausgeschlossen werden. Bill besucht sie und gerät mitten in die heikle Unterredung, die noch delikater wird, als der Polizeikommissar Lilian peinliche Fragen stellt. Sie will nicht zugeben, dass sie mit Bill allein war, als der Schuss fiel, und bringt ihn dadurch in größte Schwierigkeiten. Dennoch fühlt er sich zu Lilian hingezogen: Bei der Frage nach dem Warum ihrer Antworten genehmigt er sich in der nächsten Bar einige Drinks. Lilian merkt, was sie angerichtet hat und gesteht nun, doch mit Bill zusammengewesen zu sein, ihn sogar geküsst zu haben. Das wird für ihren endgültigen Abschied aus der Armee genügen. Hanibal ist der einzige, der Mitleid mit ihr hat, doch er ist viel zu sehr damit beschäftigt, sein vor Jahren verlorenes Erinnerungsvermögen wiederzubekommen. Völlig betrunken kommt Bill zur Heilsarmee zurück und kann sich immer weniger gegen Lilians Einfluss wehren. Nur „Fliege“ rettet ihn vor der endgültigen Kapitulation.

In Bills Ballhaus bereitet man den neuen Coup vor. Obwohl die anderen fürchten, dass er längst den Einflüssen der Heilsarmee erlegen ist, fällt Bill die wichtigste Aufgabe zu: er soll die Depots ausräumen. Lilian, die von der Sache Wind bekommen hat, hält ihn von seiner Arbeit ab; ihr Lied vom Surabaya-Johnny rührt ihn zu Tränen und lässt ihn alles vergessen. Leider ist mit „Fliege“ nicht zu spaßen: sie fürchtet, dass Bill ein Verräter ist und verlangt von den anderen, ihn zu erledigen. Seit Jahren schon auf der Suche nach ihrem Mann, einem Polizeisergeanten, hat sie alle Skrupel verloren und schreckt auch vor dem Mord an Bill nicht zurück.

Der sucht am Heiligen Abend Zuflucht bei der Heilsarmee, hat aber bereits die ganze Ballhaus-Bande auf den Fersen, die in die Feier platzt. Obwohl Lilian ausgeschlossen wurde, ist sie nicht davon abzubringen, eine flammende Predigt zu halten; sie wird aber von der Polizei unterbrochen, die dem Einbruch in die Lloyd Chicago Deposit auf der Spur ist. Die Gangster beten ihre Alibis herunter, bis auf Bill, der beteuert, seine Unschuld nur beweisen zu können, wenn Governor lebendig erschiene. Der, bei dem Schuss nur leicht verletzt, trifft zur Verblüffung aller tatsächlich ein, so dass dem Kommissar jede Handhabe fehlt. Als „Fliege“ mit Bill wegen des verpatzten Coups abrechnen will, erkennt sie in Hanibal ihren lang gesuchten Ehemann. Durch diese Ereignisse ganz aus der Bahn geworfen, bleibt allen Gangstern nur noch der Eintritt in die Heilsarmee.

Entstehung

Nach dem unglaublichen Erfolg der Dreigroschenoper hoffte der damalige Direktor des Theaters am Schiffbauerdamm, Ernst Josef Aufricht, mit einem neuen Stück von Kurt Weill und Bertolt Brecht daran anzuknüpfen. Die gleiche künstlerische Besetzung wie in der Dreigroschenoper stand zur Verfügung, etwa die Lewis Ruth Band unter Theo Mackeben und der Bühnenbildner Caspar Neher. Brecht hatte jedoch kein großes Interesse, das Libretto selbst zu schreiben und bat seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann, dies zu übernehmen. Hauptmann wurde jedoch nicht als Librettistin genannt, sondern lediglich als Übersetzerin des Stückes. Statt ihrer stand dort eine gewisse erfundene Dorothy Lane. Die Premiere von Happy End geriet zum Skandal, das Stück wurde in der Presse zerrissen. Nach nur ein paar Aufführungen wurde es wieder abgesetzt und zu Lebzeiten von Weill und Brecht nicht mehr gespielt. Erst ab den 1970er Jahren stellte sich ein erneuter Erfolg des Werkes ein.

Die Musik von Kurt Weil

Weills Musik besteht aus zwei verschiedenen Teilen. Da sind die Heilsarmee-Choräle, prachtvolle Parodien auf religiös-eifernde Musik herkömmlicher Prägung, unisono im hohen Sopran. Daneben hat das Stück sechs große Songs und Lieder, die Weill auf dem Höhepunkt seinen Songstils zeigen und die das Stück bis heute überdauern. Das „Lied des Branntweinhändlers“ (Liquid Dealer’s Dream) und das „Lied von der harten Nuß“ (Big Shot) haben nicht so weite Verbreitung erfahren wie die übrigen vier Stücke, von denen der „Song von Mandalay“ in erweiterter und geänderter Form auch in die „Mahagonny“- Oper Eingang gefunden hat.