Von Kriegern, Cowboys und Gefühlen – Wie sich Männlichkeit in der Popkultur neu erfindet

In der Popkultur spiegelt sich wider, was eine Gesellschaft über Geschlechterrollen denkt – und was sie sich unter echterMännlichkeit vorstellt. Besonders Musicals haben dabei immer wieder prägende Bilder geschaffen: Mal heroisch und laut, mal leise und reflektierend. Wer den Wandel von traditionellen zu modernen Männerbildern nachvollziehen will, findet kaum ein besseres Medium als das Musiktheater – von den 1950ern bis heute.

Der klassische Mann: Stärke, Stolz und Kontrolle

In Musicals der 50er und 60er Jahre war Männlichkeit oft gleichbedeutend mit Dominanz, Charme und einem kräftigen Tenor. In Guys and Dolls (1950) etwa, verkörpern Figuren wie Sky Masterson oder Nathan Detroit den archetypischen „coolen“ Mann – Glücksspieler, Draufgänger, aber letztlich ehrenhaft. Die Frauen in ihren Leben sind oft Belohnung oder Ziel, selten gleichberechtigte Partnerinnen.

Auch in West Side Story (1957) zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Jets und Sharks definieren ihre Männlichkeit über Aggression, Stolz und Territorialverhalten. Liebe wird zum Konfliktpunkt, Verletzlichkeit wird höchstens angedeutet – meist endet sie tragisch. Die Straßenkämpfe in New York sind eine moderne Variante des Ritterideals: Die Ehre des Mannes zählt, alles andere kommt danach.

In The Music Man (1957) ist Harold Hill ein charmanter Hochstapler, der durch Eloquenz und Selbstbewusstsein brilliert – Emotionen zeigt er erst, als er sich verliebt und dadurch „geläutert“ wird. Auch hier: Ein Mann wird erst dann menschlich, wenn die richtige Frau ihn „zähmt“.

Brüche im Ideal: Die 90er und die Disney-Maskulinität

In Mulan (1998) erleben wir dann eine martialisch geprägte Neuinterpretation der Männlichkeitsformel. In dem berühmten Lied “I’ll Make a Man Out of You” gibt es klare Ansagen: Ein Mann ist schnell, stark, unerschütterlich. Die Rekruten müssen ihre Gefühle ablegen, um zu bestehen. Ironischerweise ist es Mulan – eine Frau –, die all diese Anforderungen besser erfüllt als ihre männlichen Kollegen. Damit wird das Ideal zwar nicht aufgehoben, aber zumindest unterwandert.

 

Neue Töne: Die leise Revolution der Verletzlichkeit

Ganz anders klingt es im zeitgenössischen Musical Twelfth Night, einer musikalischen Shakespeare-Adaption mit queeren Subtexten und moderner Sprache. Der Song “What Kind of Man Do You Wanna Be?” bricht mit allen tradierten Erwartungen: Keine Stärkeproben, keine Tests der Tapferkeit – sondern ehrliche Selbstreflexion. Die Figur stellt sich selbst die Frage, wie sie als Mann leben will – und ob die alten Rollenbilder überhaupt noch irgendeinen Sinn ergeben.

Hier ist Männlichkeit keine festgeschriebene Rolle mehr, sondern ein Prozess, ein offener Raum. Und gerade deshalb ist Twelfth Night so einladend: Es macht Mut, neu zu denken – mit viel Humor, musikalischem Witz und echtem Herz.

Weitere Beispiele für neue Männlichkeitsbilder

Auch andere moderne Musicals greifen diesen Wandel auf. In Dear Evan Hansen (2015) ist der Protagonist ein junger Mann mit Angststörungen – seine Unsicherheit, seine Sehnsucht nach Verbindung, sein inneres Chaos stehen im Mittelpunkt. Männlichkeit wird hier nicht als Stärke, sondern als Suche gezeigt.

In Billy Elliot (2005, basierend auf dem Film von 2000) tanzt sich ein Junge aus einer vom Bergbau geprägten Männerwelt heraus – gegen alle Widerstände. Tanzen, sonst als „unmännlich“ verschrien, wird hier zur Befreiung.

Selbst in Hamilton (2015) wird das Bild des männlichen Genies gebrochen: Alexander Hamilton ist ehrgeizig, brillant, aber auch unsicher, besessen und verletzlich. Seine Gefühle führen ihn letztlich in den Untergang – nicht seine Schwäche, sondern seine Unfähigkeit, diese Gefühle zu reflektieren.

Vom Monolith zum Mosaik

Die Geschichte des männlichen Helden in Musicals – vom coolen Gauner der 50er über den strengen Ausbilder in Mulan bis hin zum selbstzweifelnden, sensiblen Mann in Twelfth Night – zeigt: Männlichkeit ist kein starres Konzept. Sie ist im Wandel. Und gerade Musicals sind durch ihre emotionale Offenheit ein idealer Raum, um diesen Wandel zu inszenieren, zu hinterfragen – und zu feiern.

Twelfth Night ist dabei mehr als ein Stück – es ist eine Einladung. An alle, die sich fragen, wie man heute „ein Mann“ sein kann. Oder besser: Wie man einfach man selbst sein darf. Ein Musical, das Herz hat, Haltung zeigt – und damit vielleicht gerade das bietet, was moderne Männlichkeit wirklich braucht.